Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Deckungsklage in der Rechtsschutzversicherung – Urteil betreffend „Dieselklagen“

 

Grundsätzliches

Im Falle der Ablehnung des Rechtschutzes durch die Rechtsschutzversicherung kann der Versicherungsnehmer gegen den Rechtschutzversicherer Deckungsklage erheben. Diese kann der Versicherungsnehmer auch dann erheben, wenn in den ARB ein Schiedsgutachterverfahren oder ein Stichentscheidverfahren vereinbart ist. Es besteht eine Wahlmöglichkeit. Eine grundsätzliche Frist für die Klageerhebung besteht nicht. Eine solche Klage muss der Versicherungsnehmer jedoch auf eigenes Kostenrisiko führen. Rechtsschutz gegen den eigenen Rechtschutzversicherer gibt es nicht (§ 3 Abs. 2h ARB). Der Streitwert des Deckungsprozesses entspricht dem Kostenbetrag, die dem Versicherungsnehmer droht, wenn die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen für ihn ungünstig endet.

 

Ablehnungsgründe der Rechtschutzversicherer

Die häufigsten Gründe, weshalb ein Rechtschutzversicherer die Deckung versagt, sind Mutwilligkeit und mangelnde Erfolgsaussichten. Gemäß § 3a Abs. 1 ARB bzw. Nummer 3.4.1 ARB setzt der Versicherungsschutz des Versicherungsnehmers voraus, dass die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen hinreichende Erfolgsaussicht hat und nicht mutwillig erfolgt. Aus Kostenvermeidungsgründen neigen gerade bei häufig auftretenden Rechtsstreitigkeiten, wie den Dieselklagen, die Rechtsschutzversicherungen dazu, bereits im Vorfeld die Deckung für solche Verfahren zu versagen, gerade unter Berufung darauf, dass die Erfolgsaussichten mangelhaft wären. Dabei missachten die Rechtsschutzversicherer oft den ihnen seitens des Gesetzgebers und der ständigen Rechtsprechung zugebilligten Prüfungsrahmen.

 

Prüfungsrahmen

Der Begriff der Mutwilligkeit ist mittlerweile in § 18 Abs. 1a ARB bzw. Nr. 3 .4.1.2 ARB definiert und liegt vor, wenn durch die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen voraussichtlich entstehende Kostenaufwand unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der Versicherungsgemeinschaft in einem groben Missverhältnis zum angestrebten Erfolg steht. Die Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten ist dagegen in ARB nicht konkret geregelt. Nach ständige Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 2003, 1192) ist die Prüfung der Erfolgsaussichten so vorzunehmen, wie sie gemäß § 114 ZPO bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe durch das Gericht erfolgt. Hierbei sind insbesondere schwierige Tat- und Rechtsfragen nicht abzuhandeln, sondern in diesen Fällen Deckung zu gewähren. Ausreichend ist vielmehr, wenn der Rechtsschutzversicherer den Rechtsstandpunkt des Versicherungsnehmers auf Grund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen nicht überspannt werden.

 

Relevanter Zeitpunkt für die Entscheidung

Hierbei ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Deckungsgesuchs, d.h. auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtsschutzversicherer seine Entscheidung trifft, abzustellen. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung ein Zeitpunkt ca. 2 – 3 Wochen nach vollständiger Informationserteilung (BGH VersR 2003, 638).

Hiervon macht der BGH jedoch in seiner Entscheidung vom 05.06.2024, Aktenzeichen IV ZR 140/23 eine Ausnahme für den Fall, dass in einem Deckungsschutzverfahren nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Gunsten des Versicherungsnehmers erfolgt. Dann soll die Bewilligungsreife bis auf den Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erstreckt werden.

 

Zum Fall:

Der Kläger (Versicherungsnehmer) und Rechtschutzversicherte erwarb im August 2020 ein gebrauchtes Wohnmobil, welches vom „Dieselskandal“ betroffen war. Der Kläger wollte bei der Herstellerin des Fahrzeugs Schadensersatzansprüche (§§ 823 Abs. 2, 826 BGB) gerichtet auf Rückabwicklung des Kaufvertrages geltend machen, weil das von ihm erworbene Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007, insbesondere einem Thermofenster, ausgestattet war und er dadurch vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt wurde. Die Beklagte (Rechtschutzversicherung) hat die erbetene Kostenzusage abgelehnt, weil weder ein Rechtsverstoß vorliege, noch Erfolgsaussichten in der Sache bestünden.

Zu diesem Zeitpunkt (Dezember 2021) war die Rechtslage tatsächlich nicht eindeutig geklärt, da es zahlreiche Urteile verschiedener Obergerichte gab, welche die begehrten Schadensersatzansprüche zusprachen, andere diese wieder ablehnten.

Der Rechtschutzversicherte erhob dennoch Deckungsklage gegen den Rechtschutzversicherer. Das Landgericht hat die Deckungsschutzklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht im schriftlichen Verfahren das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und unter anderem festgestellt, dass die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag verpflichtet ist, die Kosten der erstinstanzlichen Geltendmachung von deliktischen Schadensersatzansprüchen des Klägers gegen die Herstellerin aufgrund des Kaufs des Fahrzeugs und der von dem Kläger behaupteten Manipulation der Abgassteuerung dieses Fahrzeugs aus einem Streitwert von bis zu 38.848,89 € zu tragen.

Hierbei hat das Oberlandesgericht insbesondere Bezug genommen auf eine zwischenzeitlich vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem parallel laufenden Vorlageverfahren über ein „Dieselskandal“-Fahrzeug für Autokäufer ergangene günstige Entscheidung, in der der EuGH vom Dieselskandal betroffenen Kunden einen entsprechenden Schadensersatzanspruch zugebilligt hat (EuGH, Urteil vom 21. März 2023, Mercedes-Benz Group, C- 00/21, EU:C:2023:229, NJW 2023, 1111 ff.).

Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts erhob wiederum die beklagte Rechtschutzversicherung die vom Berufungsgericht zugelassene Revision.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Rechtschutzversicherers jedoch mit Recht zurückgewiesen.

Für die Frage, ob die beabsichtigte Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist zwar grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Deckungsgesuchs abzustellen, also auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtschutzversicherer seine Entscheidung trifft.

Treten aber zwischen der ablehnenden Entscheidung des Deckungsschutzantrags und der gerichtlichen Entscheidung über eine Deckungsklage Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten ein, die sich zugunsten des Rechtsschutzsuchenden auswirken und die nach dem einschlägigen Fachrecht zu berücksichtigen sind, sind diese bei der Prüfung der Erfolgsaussichten zu beachten.

Das Berufungsgericht hat im Streitfall also alles richtig gemacht. Es hat zu Recht bei der Prüfung der Erfolgsaussichten die nach dem Zeitpunkt der Deckungsablehnung ergangene, dem klagenden Versicherungsnehmer günstige Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 21. März 2023, Mercedes-Benz Group, C- 00/21, EU:C:2023:229, NJW 2023, 1111 ff.) berücksichtigt und die Erfolgsaussichten neu bewertet. Das Berufungsgericht ist zum Zeitpunkt des Ablaufs der im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO bis zum 15. Mai 2023 festgesetzten Schriftsatzfrist, die dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, unter Berücksichtigung der genannten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. März 2023, sowie der Anforderungen an die hinreichenden Erfolgsaussichten der beabsichtigen Klage, ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Annahme eines fälligen Schadensersatzanspruchs aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG (Rahmenrichtlinie) jedenfalls nicht unvertretbar erschien.

Das Berufungsgericht musste zu diesem Zeitpunkt insbesondere nicht weitere Einzelheiten der Voraussetzungen und der Modalitäten eines solchen Schadensersatzanspruchs klären, wie dies teilweise spätere Entscheidungen des Bundesgerichtshofes (z.B. vom 26.06.2023) verlangten, da zum Zeitpunkt des Erlasses seines Urteils die weitere Entwicklung der Rechtsprechung nicht absehbar war.

Für den Zeitpunkt der Entscheidung über die Deckung stellte der Bundesgerichtshof damit mit dieser Entscheidung fest, dass wenn nach dem Zeitpunkt der sogenannten Bewilligungsreife eine Klärung der Rechtslage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (hier durch den Gerichtshof der Europäischen Union) zugunsten des Versicherungsnehmers erfolgt, für die Beurteilung des Deckungsschutzanspruchs die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage, abweichend vom eigentlichen Grundsatz der Bewilligungsreife, im Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht maßgeblich ist.