Die neuere Rechtsprechung des BGH zum subjektiven Schadenbegriff im Hinblick auf die Werkstattkosten (sog. Werkstattrisiko), Gutachterkosten und deren Geltung auch gegenüber der Kaskoversicherung haben wir Ihnen bereits in den Monaten April und Mai dieses Jahres in unseren Beiträgen vorgestellt.
Zur Erinnerung:
Der BGH hat in mehreren Entscheidungen zu Beginn des Jahres 2024 nochmal klargestellt, dass Art und Umfang des Schadensersatzes (§ 249 BGB) infolge zum Beispiel eines Verkehrsunfalls stets im Wege einer subjektbezogenen Schadensbetrachtung zu erfolgen hat, also aus Sicht des Geschädigten. Kommt man zum Beispiel bei der Beauftragung einer Werkstatt durch den Geschädigten zu dem Schluss, dass der Geschädigte keine Zweifel an der Zuverlässigkeit der Werkstatt haben musste, so darf der Geschädigte Art und Umfang der Reparatur und die ihm berechneten Kosten vertrauen und diese so vom Schädiger ersetzt verlangen. Etwaige Fehler, Kostenüberteuerungen oder Verzögerungen der Werkstatt (sog. Werkstattrisiko) gehen dann zu Lasten des Schädigers. Dasselbe hat der BGH im Nachgang auch zu den Gutachterkosten festgestellt.
Das gilt nun auch für ärztliche Feststellungen (z.B. Arbeitsunfähigkeit):
Nunmehr hat der BGH, an seine oben genannte Rechtsprechung anknüpfend, in einer Entscheidung vom 08.10.2024 klargestellt, dass die subjektive Schadensbetrachtung (subjektiver Schadensbegriff) auch für das Vertrauen des Geschädigten in ärztliche Feststellungen gilt, wie zum Beispiel eine Arbeitsunfähigkeit.
Besucht der Geschädigte also nach einem Verkehrsunfall einen Arzt, um seine Verletzungen behandeln oder beweissicher feststellen zu lassen und bietet der Arzt dem Geschädigten keinen Anlass an seiner Zuverlässigkeit zu zweifeln, darf der Geschädigte an dessen Feststellungen auch zur Länge der Arbeitsunfähigkeit vertrauen. Etwaige seitens des Schädigers bzw. dessen Versicherung eingewandten Unrichtigkeiten bezüglich der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit oder deren Dauer sind ausgeschlossen und muss der Geschädigte nicht gegen sich gelten lassen.
Der Schädiger bzw. dessen Versicherung wird die volle Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei der Erstattung von Verdienstausfall und Berechnung des Schmerzensgeldes akzeptieren müssen.
Allerdings muss der Geschädigte bei seinem Vortrag folgendes beachten:
Er muss vortragen und beweisen, dass die Arbeitsunfähigkeit kausal auf dem Schadensereignis (z.B. Unfall) beruht, der Unfall also zumindest mitursächlich für die Arbeitsunfähigkeit gewesen ist. Denn das Vertrauen des Geschädigten betrifft nur die ärztlichen Feststellungen, jedoch nicht die Ursache der Verletzungen, welche der Arzt auch gar nicht feststellen kann.
Der Geschädigte muss weiterhin den Arzt vollständig und zutreffend über seine empfundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen informiert haben, welche der Arzt sodann zur Grundlage seiner Beurteilung gemacht hat. Hier empfiehlt es sich immer ein sog. Schmerzprotokoll zu führen mit Angabe der Schmerzen und deren Stärke.
Zu guter Letzt muss der Geschädigte, wie bereits oben dargelegt, die Feststellungen des Arztes und dessen Person zumindest kritisch prüfen und muss die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aus Sicht des Geschädigten so ausgestaltet sein, dass der Geschädigte zu Recht von der inhaltlichen Korrektheit der Feststellungen und deren nachträgliche positive Überprüfbarkeit ausgehen darf.
Definition der Arbeitsunfähigkeit:
Der BGH hat seine Entscheidung auch dazu genutzt, die Arbeitsunfähigkeit im Schadensrecht wie folgt zu definieren.
Arbeitsunfähigkeit im Sinne einer nach den oben genannten Grundsätzen schadensrechtlich erforderlichen verletzungsbedingten Beeinträchtigung der Arbeitskraft liegt nicht nur dann vor, wenn es dem Arbeitnehmer infolge Krankheit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit auszuüben, etwa weil er ein für die Ausübung seiner Tätigkeit notwendiges Körperteil nicht bewegen kann oder für ihn aufgrund der Erkrankung ein (gesetzliches oder behördliches) Beschäftigungsverbot besteht bzw. weil ihm gegenüber aufgrund einer ansteckenden Infektionskrankheit behördlich die Isolierung (Quarantäne) oder Absonderung verfügt wurde (vgl. zum arbeitsrechtlichen Begriff der Arbeitsunfähigkeit BAG, Urteil vom 20. März 2024 – 5 AZR 235/23, NZA 2024, 977 Rn. 12 f. mwN). Sie besteht vielmehr auch dann, wenn die Ausübung der geschuldeten Tätigkeit aus medizinischer Sicht nicht vertretbar ist, etwa weil die Heilung nach ärztlicher Prognose hierdurch verhindert oder verzögert würde (vgl. BAG aaO), oder die gesundheitliche Belastung bei Ausübung der geschuldeten Tätigkeit aus medizinischer Sicht unzumutbar erscheint.
Eine Stärkung der Geschädigten-Rechte durch den BGH, die wir sehr begrüßen.
Ihr Ansprechpartner:
Rechtsanwalt René Simonides