Neues Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts zur Statusabgrenzung eines Versicherungsvertreters

Zum Fall:

Die Klägerin ist eine auf eine bestimmte Sachversicherungssparte spezialisierte Versicherungsvertretung, welche als Mehrfachagentur für diese Sparte tätig war und in das Versicherungsvermittlerregister als Versicherungsvertreterin eingetragen war. Das beklagte Versicherungsunternehmen beabsichtigte, die Klägerin aufgrund ihrer Sachkenntnis dem bereits vorhandenen Außendienst der Beklagten als selbstständige Kompetenzagentur zur Seite zu stellen.

 

Der Vertrag:

Die unter der Überschrift „Kooperationsvertrag“ zustande gekommene Vereinbarung zwischen den Parteien enthält die nachfolgenden wesentlichen Regelungen:

 

  • Die Klägerin soll hinsichtlich der fraglichen Versicherungssparte die Aufgaben einer Betriebsabteilung der Beklagten übernehmen, für die Erstellung von Tarifen, die Vertriebsunterstützung, Schulungen und das Underwriting der Beklagten zuständig sein und hat sich verpflichtet, das Geschäft im Rahmen der erteilten Vollmacht für die Beklagte zu überprüfen und zeichnen.

 

  • Weiterhin war die Klägerin verpflichtet, die Interessen der Beklagten in jeder Hinsicht zu wahren

 

  • Der Klägerin wurde vorgegeben, einen Bürobetrieb einzurichten und für alle Betriebswege ständig erreichbar zu sein.

 

  • Die Beklagte hat sich verpflichtet, alle neuen Risiken der Sparte an die Klägerin weiterzuleiten.

 

  • Die Klägerin erhielt als Vergütung ausschließlich eine Umsatzabhängige Differenzprovision für das Neugeschäft.

 

  • Die Klägerin hat sich verpflichtet, alle eingehenden Neuanträge aus dem Tarifgeschäft zu überprüfen und für die Beklagte anzunehmen und abzuschließen.

 

  • Weitere Aufgabe der Klägerin war es, Individualversicherungslösungen für Versicherungskunden auszuarbeiten, erforderliche Gespräche mit Vermittlern und Kunden zu führen und schriftliche Angebote für die Beklagte zu erstellen.

 

Die Beklagte hat in einer internen Stellungnahme, welche der Klägerin zugeleitet wurde, bestätigt, dass die Klägerin im Rahmen des vorliegenden Vertrages in ihrer Kernfunktion für die Außendienstpartner unterstützend und verkaufsfördernd tätig wird und auch durch Angebotsabgaben und persönliche Kundengespräche direkt und indirekt zum Versicherungsabschluss beiträgt. Wörtlich wurde in dieser internen Stellungnahme ausgeführt: „Der Kooperationsvertrag ist ein Agenturvertrag mit Abschlussvollmacht.“

 

Das erstinstanzliche Verfahren:

Das Vertragsverhältnis wurde von der Beklagten nach über 17-jähriger Dauer ordentlich gekündigt und beendet. Die Klägerin hat daraufhin den Handelsvertreterausgleichsanspruch geltend gemacht. Dieser wurde von der Beklagten verneint, da nach Auffassung der Beklagten kein Agenturvertrag vorliegen würde. Das Erstgericht hat den streitgegenständlichen Vertrag nicht als Agenturvertrag gewertet und deshalb die Klage abgewiesen. Dabei hat das Erstgericht die Vertragsbezeichnung als Kooperationsvertrag und die Tatsache, dass die Klägerin in den ersten dreieinhalb Jahren eine Garantieprovision erhalten hat, als Indizien gegen das Vorliegen eines Handelsvertretervertrages gewertet und der internen Mitteilung der Beklagten keinen Beweiswert zuerkannt.

 

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes:

Das Berufungsgericht hat mit Urteil vom 19.05.2022, Az.: 6 U 83/21 das Ersturteil aufgehoben und den geltend gemachten Ausgleichsanspruch zugesprochen. Für das Vorliegen eines Versicherungsvertretervertrages hat das Berufungsgericht die folgenden Gesichtspunkte bewertet:

 

  • Die Vertragsbezeichnung als Kooperationsvertrag (auch ein Versicherungsvertretervertrag ist ein Kooperationsvertrag) war für die rechtliche Einordnung nicht entscheidend, da nicht die von den Parteien im Vertrag gewählte Bezeichnung maßgeblich ist, sondern ausschließlich der Vertragsinhalt selbst

 

  • Die Formulierung, wonach die Klagepartei die Aufgaben eine Betriebsabteilung übernimmt kann nicht dazu führen, dass die Beklagte selbst als Betriebsabteilung der Beklagten angesehen werden kann, sondern spricht vielmehr nur dafür, dass die Beklagte die im Geschäftsverkehr als selbstständige Firma nicht unter dem Briefkopf der Beklagten auftretende Klägerin mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben betraut hat, wobei die Klägerin sich im Internet auch selbst als Mehrfachversicherungsvertreterin bezeichnet.

 

  • Auch die Verpflichtung, Individualversicherungslösungen zu erstellen und Gespräche mit Vermittlern und Kunden zu führen, betrifft eine Tätigkeit der Klägerin, welche einen späteren Vertragsabschluss vorbereitet. Die Klägerin hat dabei auch die eigenen Versicherungsverträge zwischen der Beklagten und den ca. 3.000 Ausschließlichkeitsvertretern der Beklagten geprüft, diese beraten und die Anträge geprüft und angenommen.

 

  • Nach der Legaldefinition des § 92 Abs. 1 HGB ist ein Versicherungsvertreter nicht nur, wer als Handelsvertreter damit betraut ist Versicherungsverträge zu vermitteln, sondern gleichermaßen auch wer als Handelsvertreter damit betraut ist, Versicherungsverträge abzuschließen.“

 

  • Zu dem wird in der Präambel des Vertrages die Zeichnungsberechtigung der Klägerin für Versicherungen der Sparte gem. § 45 VVG ausdrücklich erwähnt, was darauf schließen lässt, dass der nachfolgende Vertrag ein Versicherungsvertretervertrag ist.

 

  • Auch die Tatsache, dass die Klägerin nach dem Vertrag keine vom Aufwand abhängige Festvergütung erhalten hat, sondern eine umsatzabhängige Provision aller neuen Versicherungsverträge ab Beginn des Vertrages, spricht für die Vermittlungstätigkeit der Klägerin.

 

  • Für eine Versicherungsvermittlertätigkeit ist darüber hinaus ein unmittelbarer Kontakt zu den Versicherungskunden nicht erforderlich. Ausreichend ist eine mitursächliche Tätigkeit am Zustandekommen des Versicherungsvertrages, welche bei der Klägerin zu bejahen ist.

 

  • Auch die Abrechnungspraxis der Beklagten, welche die Provisionsabrechnung ohne Umsatzsteuer wegen der Umsatzsteuerbefreiung für Versicherungsvermittler ausgestellt hat, spricht dafür, dass die Beklagte die Klägerin selbst als Versicherungsvertreterin eingestuft hat.

 

  • Schließlich hat das Berufungsgericht auch der internen Mitteilung der Beklagten allein deshalb einen erheblichen Beweiswert zugesprochen, da die Beklagte die Abrechnungen nach dieser internen Mitteilung vorgenommen hat und die interne Mitteilung der Klägerin ausgehändigt wurde.

 

Auch wenn der streitgegenständliche Kooperationsvertrag sicherlich ein atypisches Versicherungsvertretervertragsverhältnis regelt, enthält die Entscheidung doch zahlreiche Abgrenzungskriterien für die Einordnung einer Tätigkeit als Versicherungsvertreter, welche auch für andere Vertragsverhältnisse ausschlaggebend sein können.