Der BGH musste sich in einer Revisionsentscheidung vom 04.12.2024 damit befassen, ob es strafrechtlich relevant einen Widerspruch darstellt, wenn durch das Instanzgericht einerseits ein rauschbedingtes Fehlverhalten, andererseits aber ein sicheres Weiterfahren durch den Fahrer eines vor der Polizei flüchtenden Fahrzeugs festgestellt wurde.
Hintergrund:
Wird bei einer Alkoholfahrt nur ein Blutalkoholwert von unter 1,1 mg/g festgestellt, liegt nicht automatisch eine Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB vor, da die absolute Fahruntüchtigkeit nicht nachgewiesen ist. Es könnte aber eine Gefährdung im Straßenverkehr gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1 a StGB vorliegen, wenn ein Blutalkoholwert von 0,3 bis 1,09 mg/g vorliegt UND ein „rauschbedingtes Fehlverhalten“, also eine fahrerische Ausfallerscheinung nachgewiesen wird, welche KAUSAL auf die Beeinträchtigung durch den Alkohol zurückzuführen ist (relative Fahruntüchtigkeit). Gleichzeitig muss das Gericht bei der Prüfung immer prüfen, ob durch die alkohol-/drogenbedingte Beeinträchtigung die Steuerungsfähigkeit und damit die Schuldfähigkeit des Fahrers nicht vorliegt, was wiederum zu einer Strafmilderung oder gar Straffreiheit führen müsste.
Der Fall:
Im vorliegenden Fall fuhr der mit 0,96 mg/g alkoholisierte und mit anderen Mitteln berauschte Fahrer auf eine allgemeine Verkehrskontrolle zu. Als die Polizei das Anhaltesignal gab, leistete er dem nicht Folge und fuhr mit hoher Geschwindigkeit weiter. Die Polizei verfolgte ihm mit dem Streifenwagen, wobei der Fahrer so durch mehrere Straßenzüge und Kurven das Fahrzeug ohne Vorkommnisse lenkte. Erst in der letzten Kurve touchierte er ein parkendes Fahrzeug und beschädigte dieses. Sodann sprang er aus dem noch rollenden Fahrzeug und flüchtete zu Fuß weiter, konnte aber von der nachlaufenden Polizei gefasst werden.
Die erstinstanzliche Entscheidung:
Der Fahrer wurde in erster Instanz unter anderem wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1 a StGB verurteilt, da das Gericht annahm, dass eine relative Fahruntüchtigkeit mit einem „rauschbedingten Fehlverhalten“ vorlag. Begründet hat das Gericht dies damit, dass der Fahrer ja schließlich das Anhaltesignal der Polizei missachtet hätte.
Gleichzeitig führte das Gericht aber zu der generellen Steuerungsfähigkeit und Schuldfähigkeit des Fahrers aus, dass diese vollumfänglich vorhanden gewesen wäre, trotz des Alkohol- und Drogengehalts. Dies wäre schließlich doch daran zu erkennen, dass der Fahrer auf seiner Flucht problemlos mehrere Straßen und Kurven mit hoher Geschwindigkeit durchquerte, ohne die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren und anschließend aus dem rollenden Fahrzeug sprang und weiterlief ohne sich zu verletzen.
Der Bundesgerichtshof:
Auf die Revision des Fahrers hin hob der BGH die erstinstanzliche Entscheidung auf, da er sie, zumindest mit dieser Begründung, für rechtsfehlerhaft hielt.
Der BGH hielt die Annahme der ersten Instanz eines „rauschbedingten Fehlverhaltens“ in der Reaktion des Fahrers auf das Anhaltesignal für widersprüchlich und lückenhaft. Zwar deuten die im Blutserum nachgewiesenen Konzentrationen von Alkohol und Kokain sowie dessen Abbauprodukt auf eine maßgebliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Fahrers und können ein unbesonnenes Benehmen bei Polizeikontrollen oder eine besonders leichtsinnige Fahrweise als rauschmittelbedingte Ausfallerscheinungen in Betracht kommen. Jedoch steht die in Rede stehende Erwägung in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis zu den Ausführungen, mit denen die erste Instanz ihre Überzeugung von einer nicht erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Fahrers begründet hat, wonach der Fahrer ohne die Kontrolle zu verlieren das Fahrzeug durch mehrere Straßen und Kurven lenkte und zu Fuß weiterlief. Diese Ausführungen zur Steuerungsfähigkeit lassen sich nicht widerspruchsfrei mit der Erwägung vereinbaren, wonach die Reaktion des Fahrers auf das Anhaltesignal ein rauschbedingtes Fehlverhalten belege.
Das Urteil der ersten Instanz wurde durch den BGH aufgehoben.
Fazit:
Beides geht nicht, möchte man dem Gericht zurufen. Entweder das Gericht stellt durch kritische Prüfung fest, dass der Fahrer aufgrund des Rauschzustandes ein kausales Fehlverhalten im Verkehr an den Tag legte und muss dann in einem weiteren Schritt prüfen, ob der Rauschzustand so extrem war, dass der Fahrer ggf. vermindert schuldfähig gewesen ist. Oder es ergeben ich bei der Prüfung Anzeichen dafür, dass der Fahrer trotz des Rausches sein Fahrzeug sicher beherrschen konnte, dann fehlt es aber an einem rauschbedingten Fehlverhalten und damit der Strafbarkeit gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1 a StGB.
Ihr Ansprechpartner:
Rechtsanwalt René Simonides