Haftung bei Räum- und Streupflicht – der BGH entscheidet (endlich)

 

Die Haftung des Räum- und Streupflichtigen bei Glatteis scheint auf den ersten Blick klar zu sein:

Derjenige, den die Pflicht zum Räumen und Streuen eines Bereichs (z.B. Gehweg, Zufahrt etc.) trifft, haftet auch für etwaige Schäden und Verletzungen bei Glatteisunfällen in diesen Bereichen, da dann davon auszugehen ist, dass der Verantwortliche durch Vernachlässigung seine Pflicht zum Räumen und Streuen verletzt hat und so eine Ursache für den Unfall gesetzt hat.

Auf den anderen Blick, insbesondere dem der Versicherungen, soll die Haftung doch nicht so eindeutig sein. Denn die meist hinter den Verantwortlichen (wie Eigentümern der Grundstücke) stehenden Versicherungen haben es sich zur Aufgabe gemacht bei nahezu jedem an sie herangetragenen Glatteisunfall zu Gunsten deren Versicherungsnehmern und den eigentlichen Verantwortlichen für die Glatteisunfälle einzuwenden, dass das Glatteisunfall-Opfer doch hätte sehen müssen, dass der Gehweg, den es betrat, spiegelglatt gewesen sei, so dass sich das Opfer quasi sehenden Auges in die Gefahr begeben hätte und das Ausrutschen auf dem Eis selbst verschuldet habe ( so häufige Rechtsprechung auch der Obergerichte, zuletzt OLG Frankfurt/M).

Die Versicherungen drehen den Spieß also um, versuchen so von der Pflichtverletzung des eigenen Versicherungsnehmers, nämlich dem räum- und Streupflichtigen Eigentümer, abzulenken und ein zumindest überwiegendes Mitverschulden des Glatteisopfers zu konstruieren, welches bis zu einer vollständigen Ablehnung der gestellten Ansprüche führt. Flankiert wird dieses Vorgehen oft noch dadurch, dass die Versicherungen (absichtlich) überspannte Anforderungen an den Vortrag zu dem Unfallgeschehen stellen, wie z.B. genaue Temperaturen, konkrete Angaben zur Eisglattbildung etc.

Diesem Treiben hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun in einer Entscheidung vom 1.7.2025 (IV ZR 357/24) den Riegel vorgeschoben.

Auch in diesem Fall haben die Vorinstanzen (u.a. OLG Frankfurt/M) die These vertreten, dass wer sich sehenden Auges den Gefahren eines nicht oder schlecht gestreuten Gehweges aussetze, obwohl ein anderer Gehweg verfügbar gewesen wäre, für die Folgen eines Sturzes selbst verantwortlich sei. Außerdem wurde der Sachvortrag der Geschädigten für nicht ausreichend gehalten.

Dem entgegnete der BGH, dass grundsätzlich immer davon auszugehen ist, dass der die Räum- und Streupflicht Verletzende durch die Pflichtverletzung die maßgebliche Ursache für einen Unfall setzt, der sich gerade infolge der nicht beseitigten Gefahrenlage (Glatteis) ereignet. Ein diese grundsätzliche Haftung ausschließender, weit überwiegender Verursachungsbeitrag des Geschädigten kann nur dann angenommen werden, wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist.

Ebenso ließ der BGH den relativ kurz und einfach gehaltenen Sachvortrag der Geschädigten ausreichen, wonach bei einer Tagestemperatur von um die 0 Grad auf dem Gehweg vor dem Grundstück des Verantwortlichen Glättebildung vorlag, da dieser Bereich vereist und spiegelglatt gewesen ist, im Unterschied zu anderen Bereichen, welche gestreut und geräumt gewesen seien.

Für nicht erforderlich hielt es der BGH, dass die Geschädigte nähere Parameter darlegt, welche zu der allgemeinen Glättebildung, neben der niedrigen Temperatur, geführt haben sollen. Der obige Sachvortrag der Geschädigten war ausreichend.

Der BGH hat sich mit dieser Entscheidung klar gegen das mittlerweile gängige Treiben der Haftpflichtversicherungen in solchen Fällen gestellt, wo die geschädigte Person als die eigentliche Verantwortliche für den Unfall dargestellt und ihr die Geltendmachung von Ansprüchen durch überspannte Anforderungen an den Sachvortrag erschwert wird.

Es wurde aber auch Zeit, lieber BGH!