Steigende Gas- und Strompreise – Wann darf der Energieversorger den Anschluss sperren?

Die Energiepreise steigen und steigen, bei Kunden wird das Geld knapp. Was passiert, wenn der Kunde seine Energie nicht zahlt?

Die für Strom- und Gasversorgung einschlägigen Normen, die Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) und Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV) sehen im nahezu gleichlautenden Gesetzestext für die Energieversorger umfangreiche Unterbrechungsmöglichkeiten der Energiezufuhr vor, welche keineswegs zu unterschätzen sind, will man nicht plötzlich ohne Energie dastehen.

Allerdings müssen hierfür folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

 

1. Materiell-rechtlicher Anspruch

Der Anspruch auf Unterbrechung der Energieversorgung ergibt sich aus § 19 Strom/GasGVV. Dabei wird die Unterbrechung ohne (Abs. 1) und mit (Abs. 2) vorheriger Androhung zu unterscheiden sein.

Ohne vorheriger Androhung ist die Unterbrechung nur zulässig, wenn der Kunde dieser Verordnung in nicht unerheblichem Maße schuldhaft zuwiderhandelt und die Unterbrechung erforderlich ist, um den Gebrauch von elektrischer Arbeit unter Umgehung, Beeinflussung oder vor Anbringung der Messeinrichtungen zu verhindern.

Hierunter fällt nicht unbedingt der Energiediebstahl, welcher bereits nach allgemeinen Grundsätzen zur fristlosen Unterbrechung der Energiezufuhr berechtigt, sondern der vertragswidrige Gebrauch elektrischer Arbeit unter Umgehung, Beeinflussung oder vor Anbringung der Messeinrichtungen.

Praxisrelevanter dürfte für den Energieversorger jedoch die Unterbrechung der Versorgung gem. § 19 Abs. 2 GVV mit vorheriger Androhung der Unterbrechung sein, da hierunter u.a. auch die Sperrung bei Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen fällt.

Hierunter sind die im Vergleich zum Absatz 1 weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlungen des Kunden geregelt, wozu auch die Nichterfüllung eine Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung gehört. Die weiteren Zuwiderhandlungen sind beispielsweise die Zutrittsverweigerung, Änderungen an bestehenden Installationseinrichtungen, fehlende oder ungenügende Zugänglichkeit der Messeinrichtungen oder Weiterleitung elektrischer Energie an Dritte.

 

Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen sind folgende:

 

(1)      Vorliegen einer sonstigen Zuwiderhandlung (Nichterfüllung einer Zahlungspflicht)

Der Begriff umfasst alle Geldforderungen, die dem Energieversorgungsunternehmen gegen den Kunden aus dem Versorgungsvertrag zustehen (Hempel/Franke, aaO, § 33, Rn. 61).  Hierzu können folgende Rückstände (Zahlungsverpflichtungen) zählen:

–         Aus laufender Versorgung,

–         Aus vorherigen Teillieferungen,

–         Aus offenen Teilbeträgen,

–         Aus Lieferungen für eine frühere Wohnung des Kunden

–         Aus Nachzahlungsansprüchen wegen Berechnungsfehlern

–         Aus Nachzahlungsansprüchen wegen unterlassener Abrechnung

–         Aus Abschlags- und Vorauszahlungen

–         Aus der Pflicht zur Bezahlung des Grund- und Leistungspreises

–         Aus Kosten für die Nachprüfung von Messeinrichtungen

–         Aus sonstigen Zahlungspflichten des Kunden wie Verzugskosten, Verzugszinsen, Hausanschlusskosten und Baukostenzuschüssen.

Hierbei ist selbstverständlich zu beachten, dass die Zahlungsverpflichtung auch fällig ist. Die Fälligkeit bestimmt sich nach der Sondervorschrift des § 17 GVV und tritt mit dem in der Rechnung genannten Zeitpunkt, oder spätestens zwei Wochen nach tatsächlichem Zugang ein.

 

(2)      Mindestbetrag von 100€

  • 19 GVV stellt insoweit zur früheren AVB abweichend eine weitere Hürde für die Unterbrechung der Versorgung aufgrund Zahlungsverzuges.

Gem. § 19 Abs. 2 Satz 4 GVV darf diese nur dann erfolgen, wenn der Kunde nach Abzug etwaiger Anzahlungen mit Zahlungsverpflichtungen von mindestens 100 € in Verzug ist.

Damit folgte der Gesetzgeber der bisherigen Rechtsprechung zum § 33 AVB, wonach Zutrittsklagen wegen Kleinstbeträgen (unter 100 €) regelmäßig der Erfolg verwehrt wurde.

Für die Bestimmung dieses Mindestbetrages stellt § 19 GVV in den weiteren Sätzen klare Voraussetzungen auf. So bleiben bei der Bestimmung des Mindestbetrages folgende Rückstände außer Betracht:

–         nicht titulierte Forderungen, welche der Kunde form- und fristgerecht, sowie schlüssig begründet beanstandet hat

(etwas unverständlich, da die GVV, anders als § 30 AVB, eben keine Fristen mehr für Beanstandungen enthält)

–         Rückstände, welche aufgrund einer Vereinbarung zwischen Schuldner und Versorger noch nicht fällig sind (Ratenzahlungsvereinbarungen, Stundungen)

–         Rückstände, welche aus einer streitigen, noch nicht entschiedenen Preiserhöhung des Grundversorgers resultieren (GaBo-Fälle)

Bleibt unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen ein Saldo von 100 € übrig, darf unter den weiteren Voraussetzungen unterbrochen werden.

 

(3)      Mahnung

Das Versorgungsunternehmen muss die Zahlungsrückstände beim Kunden anmahnen, trotz der eigentlich verzugsauslösenden Regelung des § 17 GVV. Die zusätzliche Mahnung dient dem Kundenschutz und soll verhindern, dass dieser bereits durch die bloße Nichtzahlung der Rechnung Nachteile erleidet.

Die nochmalige Mahnung ist daher eine zwingende Voraussetzung der Liefersperre wegen Zahlungsrückständen.

Die Mahnung ist an keine Form gebunden, muss dem Kunden jedoch zugehen. Den Zugang der Mahnung hat das Versorgungsunternehmen zu beweisen.

 

(4)      Sperrandrohung

Die Sperrandrohung gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 GVV ist eine formale Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Einstellung der Energieversorgung. Fehlt diese, ist die Versorgungseinstellung aus formalen Gründen unzulässig.

Die Androhung kann gem. § 19 Abs. 2 Satz 3 GVV mit der Mahnung verbunden werden, um so einen weiteren Zahlungsaufschub für den Kunden zu verhindern das Verfahren zu beschleunigen.

Form ist keine vorgegeben. Ein bestimmter Inhalt ebenso wenig, jedoch muss der Text der Sperrandrohung dem Kunden klarmachen, dass bei Nichtzahlung und Ablauf der gesetzten Frist mit einer Einstellung der Versorgung zu rechnen ist, wobei das Versorgungsunternehmen die Versorgungseinstellung als Folge der Nichtzahlung eindeutig und bestimmt androhen muss und darauf hinweisen, dass ein Ausbleiben der Leistung die Einstellung der Versorgung zur Folge haben wird (BGH NJW-RR 1989, 1013; LG Hannover, VersR 1984, 1156).

Die genaue Angabe des Zeitpunkts der Versorgungseinstellung nach Datum und Uhrzeit ist wohl nicht erforderlich, wird jedoch dann empfohlen, wenn ein besonders hohes Schadensrisiko dem Kunden drohen könnte (OLG Celle, MdE 1983, 237).

Zu beachten ist insbesondere, dass das Versorgungsunternehmen ebenfalls den Zugang der Sperrandrohung zu beweisen hat. Die Sperrandrohung muss dem Kunden in verkehrsüblicher Weise zur Kenntnis gebracht worden sein, was der Fall ist, wenn sie in den Machtbereich des Kunden so gelangt ist, dass dieser unter gewöhnlichen Umständen von ihr Kenntnis nehmen konnte. Persönliche Übergaben, bzw. Einwürfe in den Briefkasten des Kunden sind daher zu Beweiszwecken genauestens zu dokumentieren.

 

(5)      Sperrfrist

  • 19 Abs. 2 GVV schreibt eine 4-wöchige Sperrfrist zwischen Androhung und Versorgungseinstellung vor. Diese ist zwingend einzuhalten.

Vor Ablauf dieser Sperrfrist darf keine Unterbrechung der Energieversorgung erfolgen. Gleichzeitig ist jedoch darauf zu achten, dass nach Ablauf der Frist mit der Versorgungsunterbrechung bzw. dem Versuch die Versorgung zu unterbrechen, nicht allzu lange zugewartet wird, da sonst eine erneute Sperrandrohung auszusprechen wäre.

 

(6)      Ausschlusstatbestand des § 19 Abs. 2 Satz 2 GVV

Die Unterbrechung der Versorgung ist nach Abs. 2 Satz 1 ausgeschlossen, wenn der Kunde darlegt, dass

–         die Folgen der Einstellung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen, und

–         hinreichende Aussicht besteht, dass der Kunde seinen Verpflichtungen nachkommt.

Diese Regelung ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, bei dessen Prüfung die Folgen der Sperrung für den Kunden, die Schwere der Zuwiderhandlung des Kunden gegen seine Vertragspflichten und die Aussicht auf künftige Erfüllung dieser Pflichten zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (BGH NJW-RR, 1989, 1013).

Ob eine Unverhältnismäßigkeit vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Es ist jedoch insbesondere bei der Nichterfüllung einer Zahlungspflicht zu beachten, dass der Kunde grundsätzlich, wie jeder andere Kunde auch, für seine Zahlungsfähigkeit einstehen muss. Eine bloße Zahlungsunfähigkeit genügt daher zur Annahme einer Unverhältnismäßigkeit der Einstellung nicht aus. Bei Zahlungsverweigerung scheidet eine Unverhältnismäßigkeitsprüfung per se aus.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit dem Recht zur Einstellung der Versorgung die sich daraus für den Kunden ergebenden Nachteile bewusst in Kauf genommen hat. Bloße Unbequemlichkeiten, wie die fehlende Möglichkeit des Betriebs elektrischer Geräte, reicht daher für eine Unverhältnismäßigkeit nicht aus. Vielmehr muss dem Kunden bei einem geringen Rückstand ein verhältnismäßig hoher Schaden drohen, oder die Einstellung der Versorgung für den Kunden eine unerträgliche Härte darstellen, die auch in Anbetracht der Nichterfüllung seiner Zahlungspflichten die Liefersperre als unangemessen erscheinen lässt.

Als zweite Voraussetzung des Ausschlusstatbestand muss der Kunde eine hinreichende Aussicht dartun, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt. Diese Voraussetzung muss kumulativ mit der Unverhältnismäßigkeit vorliegen.

Eine hinreichende Zahlungsaussicht setzt voraus, dass die Rückstände in vollem Umfang erfüllt werden. Zusicherungen oder Ankündigungen des Kunden, er werde die Rückstände demnächst begleichen, reichen nicht aus. Ebenso wenig reicht eine Zahlungszusage eines Dritten aus. Auch das Angebot, den künftigen Verbrauch zu bezahlen, ist nicht geeignet, das Recht zur Sperrung auszuschließen (AG Saarbrücken, RdE 1989, 189).  Auch ist mit Teilzahlungen oder Zahlungen einzelne Raten auf den Rückstand nicht hinreichend dargelegt, dass der Kunde den noch offenen Rückstand begleichen und auch in Zukunft seinen Zahlungspflichten nachkommen wird (AG Hanau, RdE 1989,36).

Eine hinreichende Zahlungsaussicht kann allerdings angenommen werden, wenn ein Amt (Sozialamt) zusagt nicht nur Kosten der laufenden Versorgung, sondern auch Rückstände zu begleichen (AG Steinfurth, WuM 1993, 204).

 

Hier einige Einzelfälle:

Drohender hoher Schaden: Nur bei geringen Rückständen unverhältnismäßig, sonst nicht

Soziale Hilfsbedürftigkeit/Arbeitslosigkeit: Keine Unverhältnismäßigkeit (allg. Ansicht; LG Düsseldorf, NJW-RR 1990, 117)

Krankheit des Kunden: Keine Unverhältnismäßigkeit, selbst wenn auf Energieversorgung angewiesen (LG Düsseldorf, NJW-RR 1990, 117)

Kleinkinder: Keine Unverhältnismäßigkeit (LG Hannover, RdE 1979, 184)

Mehrfamilienhäuser: Keine Unverhältnismäßigkeit (umstritten)

In jedem Einzelfall muss die Abwägung jedoch gesondert vorgenommen werden, so dass sich Abweichungen ergeben können.

 

2. Durchsetzung der Sperrung

Die Energieversorger setzen die Sperrung mittels sog. Zutrittsklagen vor den Gerichten durch. Liegen die oben genannten Voraussetzungen vor, wird der Kunde verurteilt die Unterbrechung der Energieversorgung zu dulden.

Weigert er sich weiterhin die Unterbrechung zu dulden, wird mittels Gerichtsvollzieher und Schlüsseldienst notfalls zwangsweise der Zutritt zu dem Anschluss ermöglicht und durch den Energieversorger die Energiezufuhr unterbrochen.

Da all dies mit erheblichen Mehrkosten verbunden ist, sollte der Kunde so früh wie möglich bei erkannten Zahlungsschwierigkeiten das Gespräch mit dem Energieversorger suchen, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Hierfür sind die meisten Energieversorger auch zugänglich.

 

Für weitere Fragen zum Thema steht Ihnen der Verfasser gerne zur Verfügung.