Auskunftsanspruch des Unternehmers bei begründetem Verdacht einer Vertragspflichtverletzung

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (im Folgenden „LAG“) hatte sich in seinem Urteil vom 01.12.2022 (Aktenzeichen 21 Sa 390/22) mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Unternehmen Auskunftsansprüche gegen für sie tätig werdende Handelsvertreter zur Vorbereitung von Schadenersatzansprüchen geltend machen kann. Im Rahmen der Urteilsfindung musste sich das Gericht zudem mit durchaus brisanten datenschutzrechtlichen Aspekten auseinandersetzen.

 

Sachverhalt – Was war passiert?

Der Beklagte war als Finanzdienstleister und selbstständiger Handelsvertreter bei der Klägerin, einer Vermittlungsgesellschaft der Versicherungsbranche, tätig. Die Klägerin übt die Vermittlungstätigkeit selbst als Handelsvertreterin im Sinne der §§ 84 ff. HGB aus.

Im Zeitraum April 2019 und Dezember 2019 wurden der Klägerin von ihren Partnerunternehmen über 300 Fälle eines Betreuerwechsels der bisher von dem Beklagten betreuten Kunden angezeigt. Im ersten halben Jahr nach Ausscheiden des Beklagten wurden der Klägerin lediglich 46 Betreuerwechsel mitgeteilt. Aufgrund der enorm hohen Anzahl an Betreuerwechsel im letzten halben Jahr des Vertragsverhältnisses zwischen dem Beklagten und der Klägerin, hegte die Klägerin den Verdacht, dass sich der Beklagte noch während des laufenden Vertragsverhältnisses ihr gegenüber  wettbewerbswidrig verhalte, indem er Kunden zur Vertragsbeendigung mit der Klägerin veranlasst und eigenständig weiterbetreut habe.

 

Das Gerichtsverfahren

Die Klägerin begehrte vom Beklagten umfangreiche Ansprüche auf Auskunft u. a. über Art und Umfang der vom Beklagten vermittelten Finanzdienstleistungsprodukte unter Umgehung der Klägerin, welchen Kunden der Beklagte zur Kündigung und Beitragsfreistellung etc. geraten hat und welche Kunden der Beklagte über sein Ausscheiden zum 31. Dezember 2019 und Wechsel zu einem anderen Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche informiert hat.

Das LAG sprach der Klägerin in seiner Berufungsentscheidung die Auskunftsansprüche dem Grunde nach zu, beschränkte den von der Klägerin begehrten Umfang ihres Auskunftsanspruchs jedoch nicht unwesentlich.

 

Die Urteilsgründe

Nach § 86 Abs. 2 HGB hat sich der Handelsvertreter um den Abschluss von Geschäften zu bemühen und hierbei das Interesse des Unternehmens zu wahren. Danach ist der Handelsvertreter verpflichtet alles zu unterlassen was eine Schädigung der Interessen seines Geschäftsherrn (hier das Unternehmen) herbeizuführen geeignet wäre.

Bestehe aber der Verdacht, so das LAG, dass der Handelsvertreter gegen das Gebot der Interessenwahrnehmung verstoßen habe, können sich daraus Auskunftsansprüche des Unternehmens nach § 241 Abs. 2 BGB ergeben.

Nach ständiger Rechtsprechung sei es unstreitig, dass sich ein Handelsvertreter während der Laufzeit des Handelsvertretervertrages regelmäßig schadensersatzpflichtig mache, wenn er ein Wettbewerbsverbot oder sonstige Pflichten zur Interessenwahrung verletze. Für diesen Schadensersatzanspruch sei der Unternehmer der Höhe nach darlegungs- und beweisbelastet.

Ein daraus abgeleiteter und selbständige Anspruch auf Auskunft zur Vorbereitung eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs setze voraus, dass zumindest der begründete Verdacht einer Vertragspflichtverletzung bestehe und ein daraus resultierender Schaden des Anspruchstellers wahrscheinlich sei.

Diese beiden Voraussetzungen erachtete das LAG im hier besprochenen Fall für gegeben. Aus den zahlreichen Betreuerwechsel von Kunden, die im Verantwortungsbereich des Beklagten standen und bereits im Jahr 2019 einen Betreuerwechsel angezeigt haben, ergebe sich der Verdacht, so das LAG, dass der Beklagte seine Konkurrenztätigkeit bereits im Jahre 2019 und damit noch während des Bestehens des Vertragsverhältnisses mit der Klägerin aufgenommen habe. Die der Klägerin angezeigten Betreuerwechsel mit einem Umfang in Höhe von 300 Kunden, seien in dieser Höhe untypisch und spreche dies für entsprechende vertragswidrige Aktivitäten des Beklagten.

Das LAG stützte den dem Grunde nach zugesprochenen Auskunftsanspruch der Klägerin im Rahmen seiner Urteilsbegründung auf den allgemeinen Auskunftsanspruch gemäß § 242 BGB (Treu und Glauben), ließ hierbei aber bedauerlicherweise offen, ob sich der ausgeurteilte Auskunftsanspruch gegebenenfalls bereits aus der Berichtspflicht nach § 86 Abs. 2 HGB oder aus § 666 BGB ergibt.

Den Umfang des Auskunftsanspruchs gemäß § 242 BGB begrenzte das LAG jedoch auf folgende Punkte (verkürzt dargestellt):

  • welche Finanzdienstleistungsprodukte hat der Beklagte unter Umgehung der Klägerin vermittelt?
  • welche Kunden hat der Beklagte zur Kündigung, Beitragsfreistellung etc. der Verträge mit der Klägerin veranlasst?
  • welche Kunden hat der Beklagte zum Betreuungsende durch die Klägerin veranlasst bzw. hierzu Hilfe geleistet und zwar unter Angabe des vollständigen Namens des Kunden?

Der Umfang der zu erteilenden Auskunft ergibt sich, so das LAG, aus der Funktion des Auskunftsanspruchs. Demnach sei Auskunft nur insoweit zu erteilen, als dies zur Prüfung und (geschätzten) Bezifferung des Schadensersatzanspruchs erforderlich sei.

 

Datenschutzrechtliche Aspekte

Das LAG hatte insoweit zudem noch interessante datenschutzrechtliche Fragestellungen zu klären. Die Klägerin legte im Gerichtsverfahren zur Darlegung des Verdachts auf Vertragspflichtverletzung nämlich eine Liste der eingangs erwähnten 300 Kunden vor, die im letzten halben Jahr des Vertragsverhältnisses zwischen der Klägerin und dem Beklagten ihre eigenen bestehenden Verträge mit der Klägerin  kündigten, beitragsfrei stellten, widerriefen oder anderweitig auflösten.

Das LAG warf insoweit jedoch jegliche aufkeimende datenschutzrechtliche Bedenken über Bord und erklärte, dass die Klägerin die Liste in das Verfahren einführen und das Gericht diese zur Entscheidungsfindung auch verwenden dürfe, obwohl die Liste Kundennamen enthalte. Auch das Recht der Kunden auf informationelle Selbstbestimmung, welches Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz sei, stehe dem Auskunftsanspruch der Klägerin nicht entgegen Zudem sei die Gefahr solcher Auseinandersetzungen wie der vorliegenden beim Abschluss von Geschäften über einen Vermittler geradezu angelegt und damit auch Teil der Risikosphäre auch der Kunden.

 

Fazit

Das LAG hat in diesem Urteil recht deutlich klargestellt, dass bei einem begründeten Verdacht einer Vertragspflichtverletzung, aus der ein Schaden wahrscheinlich resultiere, ein Auskunftsanspruch gegenüber dem betreuenden Handelsvertreter dem Grunde nach bestehen kann. Im Hinblick auf die Reichweite des Auskunftsanspruchs muss stets auf den Einzelfall abgestellt und insoweit geprüft werden, welche Auskünfte tatsächlich notwendig sind, damit der Unternehmer in die Lage versetzt wird, Anhaltspunkte für eine Schadensbezifferung – jedenfalls in Form einer Schätzung nach § 287 ZPO – zu erhalten. Seit Inkrafttretens der von vielen Seiten „gefürchteten“ Datenschutz-Grundverordnung gewannen datenschutzrechtliche Aspekte massiv an Bedeutung und Aufmerksamkeit. Umso überraschender ist es für den Autor mit welcher Vehemenz und Rigorosität das Streitgericht jegliche datenschutzrechtlichen Bedenken im Rahmen des Auskunftsanspruchs des Unternehmens abwiegelte.

 

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