Betriebsschließungsversicherung in der Coronapandemie: Ein Rechtsprechungsupdate

In den Jahren der coronabedingten Lockdowns mussten Unternehmer, insbesondere Gastronomen herbe Umsatzeinbußen hinnehme. Die Hoffnungen, dass die abgeschlossene Betriebsschließungsversicherung diese Umsatzeinbußen ausgleichen würde, erwiesen sich schnell als eher vage. Schnell ist in der Rechtsprechung der Gerichte deutschlandweit die Frage diskutiert worden, ob coronabedingte Betriebsschließungen von den Betriebsschließungen überhaupt erfasst sind.

Ersten Überblick zu den damals seitens der Versicherer vorgebrachten Einwendungen und deren Behandlung durch die Instanzgerichte verschafften wir im Heft VK 21, 102.

Mit der Zeit hat sich das Rechtsprechungskarussell weitergedreht, viele Einwendungen der Versicherer (z.B. die sog. „intrinische Gefahr“) sind auf der Strecke geblieben. Erhalten geblieben und auch unter den Oberlandesgerichten umstritten ist die Frage, wie seitens der Versicherer in ihren AVBs der Betriebsschließungsversicherung unter der Überschrift „Meldepflichtige Krankheiten“ verwendete Verweise auf das Infektionsschutzgesetz und Auflistungen von bestimmten Krankheiten und Erregern (ohne ausdrücklicher Nennung des Coronavirus) zu behandeln sind. Hierzu berichteten wir im Heft VK 09-2021, 160.

 

Bereits damals war eine Formulierung eindeutig zu Gunsten der Versicherer ausgefallen, welche eine eindeutig abschließende Auflistung beinhaltete:

„Meldepflichtige Krankheiten oder meldepflichtige Krankheitserreger in Sinne dieser Bedingungen sind nur die im Folgenden aufgeführten“

(OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2021, 12 U 11/21;OLG Stuttgart, Urteil vom 15.02.2021, 7 U 335/20; OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020, 20 W 21/20)

 

Umstritten geblieben sind die uneindeutig abschließende Auflistung

„…sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger (Liste von Krankheiten und Krankheitserregern OHNE Sars-CoV-2 und Covid-19)“

und der bloße Verweis auf das Infektionsschutzgesetz

„…sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“,

hier insbesondere die Frage danach, auf welchen Gesetzesstand des Infektionsschutzgesetzes verwiesen wird.

 

Beide Fälle hat der Bundesgerichtshof (BGH) in den Jahren 2022 und 2023 abschließend behandelt, einmal zu Gunsten und einmal zu Lasten der Versicherungsnehmer:

 

In seiner Entscheidung vom 26.01.2022 (IV ZR 144/21)

lag dem Bundesgerichtshof die folgende Formulierung in den AVBs der Betriebsschließungsversicherung vor:

„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

Krankheiten: (Auflistung ohne Covid-19)

Krankheitserreger: (Auflistung ohne Covid-19)“.

Der Bundesgerichtshof hat die Ansprüche des Versicherungsnehmers auf Leistungen aus der Versicherung zurückgewiesen, weil nach dessen Ansicht eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 bei der hier verwendeten Formulierung nicht vom Versicherungsschutz umfasst ist. Nach den AVBs der Versicherung besteht Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus dem Katalog der Versicherungsbedingungen, der nach dem für die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen maßgeblichen Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers abschließend ist und weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufführt.

Der Bundesgerichtshof hielt die Klausel auch nicht für intransparent oder unangemessen benachteiligend, insbesondere würde die Klausel auch der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1 und 2 BGB standhalten, da der klare Wortlaut der Klausel den abschließenden Charakter definieren würde und die Bedingungen nicht der Eindruck vermitteln, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz erfasst sei, dies selbst dann, wenn der Katalog nicht deckungsgleich mit dem Infektionsschutzgesetz wäre.

Für die hier verwendete Formulierung der AVBs war damit der Rechtsstreit endgültig zu Lasten der Versicherungsnehmer entschieden.

Es bahnte sich aber bereits damals an, dass da noch was kommen würde und es kam auch.

 

Der Bundesgerichtshof hat sich nunmehr in seiner Entscheidung vom 18. Januar 2023 (IV ZR 465/21) mit der zweiten, umstrittenen Formulierung der AVBs bei der Betriebsschließungsversicherung beschäftigt, die wie folgt lautete:

„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG.”

Die versicherte Gastronomin machte für die Zeit vom 18. März bis 25. Mai 2020 (1. Lockdown) Entschädigungsleistungen im Rahmen einer Zahlungsklage sowie für die Zeit ab dem 02. November (2. Lockdown) die Feststellung auf Entschädigungsleistungen gegen ihren Versicherer aus der Betriebsschließungsversicherung geltend.

Das Landgericht Hannover hat in einem Grund- und Teilurteil vom 19. April 2021 – 2 O 164/20 der Versicherten Entschädigungsleistungen für beide Lockdowns (für den zweiten dem Grunde nach) zugesprochen. Das Oberlandesgericht Celle hat auf die Berufung der Versicherung im Urteil vom 18. November 2021 – 8 U 123/21 die Zahlungsklage der Versicherten (1. Lockdown) zurückgewiesen, dem Feststellungsantrag (2. Lockdown) aber stattgegeben. Beide Parteien gingen gegen die Entscheidung in Revision.

Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts gehalten:

Aus Sicht des BGH ist, dem OLG folgend, ist die Bezugnahme in den AVBs auf die im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger als keine Beschränkung des Leistungsversprechens auf den Rechtszustand im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu sehen. Dies ergebe sich aus der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB.

Mangels der Nennung eines bestimmten Zeitpunkts oder einer bestimmten Gesetzesfassung des in Bezug genommenen Infektionsschutzgesetzes, kann der Versicherungsnehmer, der die Bedeutung der Verweisung zu erschließen versucht, auf der einen Seite den Verweis so deuten, dass für die Frage, welcher gesetzesstand des Infektionsschutzgesetzes maßgeblich ist, der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles maßgeblich ist. Auf der anderen Seite ist auch eine Auslegung dahin möglich, dass eine Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung erfolgen soll. Demnach ließe sich der Klausel gerade nicht entnehmen, dass der Versicherer nur auf die Fassung des Infektionsschutzgesetzes zum Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsschließungsversicherung abstellen wollte (welche das Coronavirus freilich noch nicht beinhaltete). Vielmehr ist aus Sicht des Versicherten auch die Auslegung möglich, die Klausel erfasse mit ihrer Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG die zum Zeitpunkt der behördlichen Anordnung namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger.

Diese Auslegungszweifel gehen zu Lasten des Verwenders, also des Versicherers.

Da die hier verwendete Klausel gerade – anders als die Versicherungsbedingungen, die dem BGH vom 26. Januar 2022 (IV ZR 144/21, vgl. PM Nr. 12/2022) zugrunde lagen – keine namentliche Aufzählung der versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger beinhaltet, war der Versicherten aus Anlass der teilweisen Einstellung ihres Betriebs ab dem 2. November 2020 die begehrte Feststellung auf Entschädigungspflicht durch die Versicherung zuzusprechen, weil die Krankheit COVID-19 und der Krankheitserreger SARS-CoV-2 mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19. Mai 2020 am 23. Mai 2020 in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. t und § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 44a IfSG namentlich genannt wurden.

Dagegen war aus Sicht des BGH, dem OLG folgend, der Versicherten die Zahlungsklage auf Entschädigung für den 1. Lockdown nicht zuzusprechen, da zu diesem Zeitpunkt die Krankheit COVID-19 und der Krankheitserreger SARS-CoV-2 noch nicht im Infektionsschutzgesetz namentlich genannt waren.

Für nicht maßgeblich hielt der BGH, dem OLG folgend, dass bereits mit dem Inkrafttreten einer auf der Grundlage von § 15 IfSG erlassenen Verordnung am 1. Februar 2020 die Meldepflichten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Satz 1 IfSG auf den Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie den Tod in Bezug auf eine Infektion mit COVID-19 und auf den direkten oder indirekten Nachweis einer Infektion mit SARS-CoV-2 ausgedehnt wurden. Denn der Versicherer hat mit seiner gewählten Formulierung

“die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger”

seine Leistungspflicht aus der Betriebsschließungsversicherung wirksam auf ausdrücklich im Infektionsschutzgesetz genannte Krankheiten und Krankheitserreger begrenzt, wozu SARS-CoV-2 im 1. Lockdown mangels namentlicher Nennung im Infektionsschutzgesetz eben nicht gehörte.

Aus Sicht des BGH erschließt sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer aus der gewählten Formulierung, dass nur die in diesen Vorschriften mit Namen bezeichneten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen. Insbesondere bleibe es die eigenverantwortliche Entscheidung des Versicherers im Rahmen seines Leistungsangebots, ob er auch nur gemäß Rechtsverordnungen und nicht durch Gesetz wie dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtige Krankheiten zulässt bzw. vom Versicherungsschutz miterfasst haben möchte. Die gewählte Formulierung mache jedenfalls das Anliegen des Versicherers deutlich erkennbar, den Versicherungsschutz nur auf die im Gesetz selbst benannten Krankheiten und Krankheitserreger zu begrenzen.

Damit würde die Klausel auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoßen.

 

Die neue Entscheidung des BGH ist infolge seiner bisherigen Rechtsprechung zur Betriebsschließungsversicherung konsequent und nachvollziehbar. Für betroffene Versicherte bedeutet die Entscheidung, dass sie zumindest für den 2. Lockdown bei der hier verwendeten Formulierung der AVBs Entschädigungsleistungen erwarten können.

Aufgrund der drohenden Verjährung der Ansprüche aus dem Jahr 2020 zum 31.12.2023, sollten hier schleunigst die AVBs der Betriebsschließungsversicherung auf mögliche Entschädigungsleistungen durch einen Fachmann überprüft werden.