Vorsicht beim Anfahren vom Straßenrand!

Gerade im städtischen, mehrspurigen Verkehr kommt es ständig zu Situationen, in denen sich durch Spurwechsel und Anfahren vom Straßenrand oder aus einer Parklücke in den fließenden Verkehr zwei Autos eine Spur teilen wollen, was meistens in einer Kollision endet. Um die Schuldfrage in solchen Fällen wird sehr diametral gestritten, mit verschiedenen Gerichtsurteilen für die eine oder andere Seite, oder der beliebten da arbeitsersparenden Schuldteilung (50:50).

Der BGH hat nunmehr mit seinem Urteil vom 08.03.2022 einiges zu diesen Fällen klargestellt.

Grundsätzlich sieht die Straßenverkehrsverordnung in § 7 Abs. 5 die Schuld an einer Kollision beim Fahrstreifenwechsler. Dieser darf den Fahrstreifen nur dann wechseln, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. § 7 Abs. 5 StVO begründet insoweit ein sog. Anscheinsbeweis, welcher die Beweisführung für den Geschädigten erleichtert, da zunächst der Fahrstreifenwechsler als der Unfallverursacher gilt, er selbst durch eigene Beweise diesen Schuldbeweis widerlegen muss.

Dieser Grundsatz gilt nach dem BGH nicht, wenn der Geschädigte aus einer längs zur Fahrbahn angeordneten Parkbucht in den Verkehr eingefahren ist.

Die (vermeintliche) Geschädigte und Klägerin parkte ihr Fahrzeug in einer längs zur Fahrbahn angeordneten Parkbucht auf der rechten Seite einer zweispurigen Fahrbahn. Die (vermeintliche) Schädigerin und Beklagte befuhr mit ihrem Fahrzeug die linke Spur der Fahrbahn und wechselte in die rechte Spur der Fahrbahn, als in diesem Moment die Klägerin vom Straßenrand aus der Parkbucht in den fließenden Verkehr einfuhr. Es kam erwartungsgemäß zu einer Kollision beider Fahrzeuge in der rechten Spur der Fahrbahn.

Die Instanzgerichte (Amtsgericht und Landgericht) lösten den Fall (arbeitssparend) mit der üblichen 50%:50%-Schuldteilung. Auf die Revision hin hob der BGH diese Urteile auf.

Der BGH sah entgegen der Vorinstanzen gerade kein Verschulden gem. § 7 Abs. 5 StVO bei der Spurwechslerin. Denn gem. § 7 Abs. 5 StVO soll der Schutz der Vorschrift „anderen Verkehrsteilnehmern“ zugutekommen. Als „andere Verkehrsteilnehmer“ sieht der BGH in seiner Entscheidung allerdings nur solche an, welche sich im fließenden Verkehr befinden und nicht solche, welche vom Fahrbahnrand in den fließenden Verkehr anfahren.

Die in den fließenden Verkehr Einfahrenden müssen vielmehr gem. § 10 Satz 1 StVO sich so verhalten, dass eine Gefährdung des Straßenverkehrs ausgeschlossen ist. Demnach folge bereits aus dem § 10 StVO der Vorrang des fließenden Verkehrs, welcher durch § 7 Abs. 5 StVO nicht beseitigt wird.

Stoßen also im Straßenverkehr ein Spurwechsler und ein Einfahrer aufeinander, hat der Spurwechsler Vorrang.

Allseits gute Fahrt!